Facebook-Freunde

– Wie uns schwache Beziehungen doch stark machen

Wie die so junge Plattform eine Theorie aufgreift, die aus den 70er-Jahren stammt. Welches Facebook-Mitglied kennt sie nicht? Die User mit 473 Freunden – und dies ist eine Beispiels-, keine Fantasiezahl. Das „klassische“ Verständnis von Freundschaft ist damit kaum in Einklang zu bringen. Wenn Sie Ihren Geburtstag mit Freunden feiern wollen – würden Sie über 400 Personen einladen? Die allermeisten werden dies wohl verneinen.

Facebook bietet zwar die Möglichkeit Kontakte in verschiedene Listen einzuordnen, jedoch wird es von vielen Menschen skeptisch gesehen, dass Facebook alle Kontakte als Freunde bezeichnet. Oftmals kann man beobachten, dass sie das Wort „Freunde“ mit Anführungsstrichen versehen, wenn sie es in diesem Kontext verwenden.

 

Im traditionellen Verständnis stellt man sich unter Freunden Personen vor, zu denen man ein positives, enges Verhältnis hat. Man kann sich ihnen anvertrauen, erzählt ihnen Dinge, die lockere Bekannte nicht erfahren, teilt gemeinsame Interessen und weist meist einen ähnlichen sozialen Hintergrund auf. Und vor allem: Man pflegt die Freundschaft auch in der „Offlinewelt“.

 

Stehen die eingangs angeführten User nun in einem ebensolchen Verhältnis zu all ihren Facebook-Freunden? Es ist nicht anzunehmen. Bei Facebook stellt „Sich anfreunden“, also das simple Anklicken des Buttons „Freundschaftsanfrage versenden“, oftmals den Höhepunkt der Interaktion zwischen den beiden Personen dar. Oft besteht danach kein Kontakt mehr. Zudem „adden“ viele Menschen Mitglieder, deren Profilbild „cool“ aussieht, denn durch die bestätigte Freundschaft kann das Profil inklusive Fotos eingesehen werden, was die Neugier – die nicht selten an Voyeurismus grenzt – bedient. Oftmals wird es zudem als erstrebenswert angesehen, möglichst viele Freunde bei Facebook verbuchen zu können, um somit zu zeigen: „So beliebt bin ich.“

 

Wie sieht nun die Freundschaft bei Facebook im Vergleich zur „klassischen“ genauer aus? Sie gleicht eher einem Verwalten. Eine Freundschaftsanfrage ist mit einem Klick versandt: Hat man keine Lust mehr, ist auch mit einem Klick die virtuelle Freundschaft beendet, ohne dass der Betreffende dies mitbekommt und man den Kontaktabbruch erklären müsste. Natürlich soll die Facebook-Freundschaft nicht mit einem kalten, seelenlosen Verwalten gleichgesetzt werden, ist man doch auch mit seinen engen Freunden dort verbunden. In diesem Falle verlagert sich die „Offlinewelt“ jedoch lediglich in die „Onlinewelt“. Facebook versucht dieses Szenario mittlerweile mit den „smart lists“, sogenannte intelligente Freundeslisten, zu automatisieren.

 

Da bei Facebook nichts ohne Freunde läuft, bietet es den sogenannten „Freundefinder“ an: ein Tool, das die Freundeslisten zweier Mitglieder abgleicht, auf gemeinsame Bezugspunkte absucht und anschließend „Personen, die du kennen könntest“ vorschlägt.

 

Damit wendet die Plattform um Mastermind Mark Zuckerberg Überlegungen an, die der Soziologe Mark Granovetter bereits 1973 in seinem mittlerweile klassischen Werk „The strength of weak ties“ formuliert hat. Knapp zusammengefasst steht man nach ihm zu Personen entweder in einer starken, schwachen oder gar keiner Beziehung, gemessen an der gemeinsam verbrachten Zeit, dem entgegengebrachten Vertrauen, der emotionalen Intensität und der Gegenseitigkeit der Beziehung.

 

Ein weiterer Kernpunkt seiner Netzwerkanalyse ist die „Verbotene Triade“. Stellen Sie sich vor, Sie haben zwei sehr gute Freunde. Laut Granovetter ist es nun kaum möglich, dass zwischen diesen beiden Freunden untereinander keine Beziehung existiert, da sie 1. durch die verbrachte Zeit mit Ihnen von Ihrem anderen Freund wissen und ihm auch mal begegnen werden und 2. sich diese beiden Freunde auch ähnlich sein werden, da beide mit Ihnen eng befreundet sind.

 

Während unsere Freundschaften zu den starken Beziehungen gehören, sind die schwachen im weiteren Bekanntenkreis zu sehen. Gerade die „schwachen“ Beziehungen weisen aber nach Granovetter eine große Stärke auf. Sie sind ideal zur Informationsweiterleitung geeignet.
Die Studie „Getting a Job” von Granovetter dieses Thema betreffend, kam zu einem überraschenden Ergebnis. Er ging davon aus, dass vor allem starke Beziehungen bei der Jobsuche weiterhelfen, da sich diese Personen eng miteinander verbunden fühlen und ihnen somit Hilfsbereitschaft unterstellt werden kann. Er befragte Personen, die vor kurzem ihren Job wechselten, wie sie von der Stelle erfahren hatten. Die erste Überraschung war, dass mehr als die Hälfte nicht über offizielle Wege wie Stellenausschreibungen, sondern über Bekannte von der vakanten Stelle wussten. Und weiterhin, zu der Person, die ihnen diese Information vermittelt hatte, standen sie in einem äußerst losen Verhältnis, sahen sie nur ab und zu im Jahr.

 

Weshalb helfen entfernte Bekannte weiter als enge Freunde, selbst wenn diese sehr hilfsbereit sind? Der Clou dabei ist, dass die Personen, zu denen man eine starke Beziehung pflegt, sind uns selbst in großen Teilen sehr ähnlich. Sie halten sich in Kreisen auf, die ähnlich unseren sind, arbeiten in vergleichbaren Berufen, wohnen in der gleichen Stadt. Kurz gesagt: Sie haben schlicht keinen Zugang zu Informationen, die wir nicht auch selbst akquirieren könnten. Die Personen jedoch, mit denen man durch schwache Beziehungen verbunden ist, kennt man meist nur aus einem einzigen Zusammenhang. Diese können ihrerseits auf Quellen zurückgreifen, die man selbst nicht kennt. Auf diese Weise erhält man Informationen mit Neuigkeitswert. Über schwache Beziehungen können Informationen also größere soziale Distanzen zurücklegen. Sie machen das eigene Netzwerk weitverzweigter, facettenreicher, informativer.
Die Existenz professioneller Netzwerke wie XING trägt dieser Erkenntnis Rechnung.

 

Mit Facebook existiert nun ein ideales Instrument, um schwache Beziehungen zu generieren. Hier werden Beziehungen, die latent angelegt sind, aktiviert. Bin ich mit meinem besten Freund auch über Facebook befreundet und ein Arbeitskollege, der mir bisher unbekannt war, kommentiert einen seiner Posts, so werde ich selbst durch den Newsfeed darüber informiert und kenne dessen Namen unbewusst. Das gegenseitige „Kennen“ ist also bereits angelegt, es muss nur noch durch eine Begegnung oder Sonstiges aktiviert werden. Facebook ist also hervorragend als Multiplikator von sozialen Beziehungen geeignet.

 

Mit der Online-Freundschaft kann man es auch wie der amerikanische Late Night-Moderator Jimmy Kimmel halten, der 2011 die „falschen“ und „unwichtigen“ Freunde bei Facebook kritisiert und den „National UnFriend Day“ ausgerufen hat: sich auf die wenigen, echten Freunde besinnen. Oder man betrachtet den potenziellen Nutzen, den dieser gewaltige Freundschaftspool bereithalten kann. Das Aktivieren von latent angelegten Beziehungen, die von immensem Nutzen bei der Informationsweiterleitung sein können.

Lisa

Lisa Krämer unterstützt unser Team im Bereich der Projektassistenz. Im Anschluss an ihren Bachlorabschluss in Soziologie und Politikwissenschaft wird sie ab Oktober den Masterstudiengang Medienmanagement beginnen.