STMNT beim Deutschen Nahverkehrstag

Neue Nähe im Marketing. Oder „Wie wir das 9-Euro-Ticket lieben lernen.“

Auf dem Deutschen Nahverkehrstag (DNT) vom 13. bis 15. Juni 2022 in Koblenz widmeten sich Marina Fluck und Ralf Schmitt in ihrem Fachvortrag dem viel diskutierten 9-Euro-Ticket und gingen mit ihren fünf Thesen in Austausch mit den Vertreter*innen der ÖPNV-Branche. Organisiert wird die große Kongressveranstaltung alle zwei Jahre vom Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität Rheinland-Pfalz. 2020 fand der DNT digital statt, 2022 erstmals wieder in Präsenz.

Wie hat es sich der große Branchentreff nach vier Jahren „Livepause“ angefühlt?

Marina: Zuletzt war ja 2018 ein persönlicher Austausch auf dem DNT möglich. Doch ganz ehrlich, es hat sich angefühlt, als hätte es keine coronabedingte Auszeit gegeben. „Man kennt sich halt“ und das vertraute Miteinander und das Gefühl von Gemeinschaft war direkt wieder hergestellt. Kein Wunder, dass der DNT auch als „der Familientreff der Nahverkehrs-Branche“ bezeichnet wird.

Leitmotiv des DNT war das Thema „Das Klima retten! Der ÖPNV als Schlüsselfaktor?“ Inwiefern hat euer Fachvortrag darauf eingezahlt?

Ralf: Ursprünglich war ein anderes Vortragsthema geplant, doch dann kam das 9-Euro-Ticket dazwischen. Daher reagierten wir flexibel, denn wir wollen und müssen über die Chancen reden, die mit dem Ticket verbunden sind. Wir haben mit zahlreichen Expert*innen über das Ticket gesprochen. Und sowohl Ticket als auch die damit verbundenen Rahmenbedingungen werden sehr kontrovers diskutiert. Daher stellten wir fünf Thesen zu diesem Ticket auf, um aus Marketingperspektive die positiven Effekte für den ÖPNV daraus abzuleiten, nämlich „Wie wir das 9-Euro-Ticket lieben lernen.“ Und in der Folge ist dies dann auch für den Klimaschutz relevant.

Die Thesen

  1. Das 9-Euro-Ticket macht den ÖPNV bekannter und gewinnt Millionen Neukunden.
  2. Mit dem 9-Euro-Ticket ist der ÖPNV tatsächlich billiger als das Autofahren.
  3. Mit dem 9-Euro-Ticket erobern sich Abenteuerlustige drei Monate ein Deutschland-grenzenlos-Feeling.
  4. In den Medien vollzieht sich aktuell ein „Re-Framing“: Aus dem vergünstigten ÖPNV-Ticket (Busse und Bahnen) wird fast ausschließlich ein vergünstigtes Bahn-Ticket gemacht.
  5. Das 9-Euro-Ticket bringt die Chance für ein echtes Sommermärchen.

Welche Gedanken stecken hinter diesen Thesen?

Marina: Gleich ein ganzes Konglomerat an Überlegungen … Mit dem 9-Euro-Ticket möchte die Politik Bürger*innen entlasten. Und die Nahverkehrsbranche möchte die drei Verkaufsmonate zur Rückgewinnung von Fahrgästen nutzen und mit Attraktivität sowie Leistungsfähigkeit überzeugen. Heißt: Das Ticket soll Neukunden ansprechen und gewinnen. Das bereits millionenfach verkaufte Ticket, das vorzugsweise von Nicht-Abo-Kunden gekauft wird und im Freizeit- und Urlaubsverkehr den größten Anklang findet, hat den kommunikativen Sprung in alle Medien geschafft, wie kein Ticket zuvor. Aber gleichzeitig ist klar: Das 9-Euro-Ticket ist „endlich“ und wird weder nachhaltige Entlastungen für Pendler*innen bringen, noch zu großen Verhaltensänderungen führen, weil der geneigte Autofahrer nach drei Monaten wieder in seine alten Gewohnheiten zurückfällt. Und weil der ÖPNV dann wohl wieder zu den bisherigen Preisen zurückkehrt. Letztendlich wird die Wertschätzung gegenüber anderen attraktiven Tarifen oder Tarifoffensiven untergraben.

Das hat auf den ersten Blick aber nichts mit Liebe zu tun?

Ralf: Auf den zweiten schon, wenn wir Learnings daraus ziehen, wie und warum das 9-Euro-Ticket so erfolgreich ist. Das hat natürlich mit dem Preis zu tun, mit der medialen Präsenz, aber auch mit Faktoren wie Kundenzentriertheit, Einfachheit und Nähe. So haben wir auch die Takeaways für die Teilnehmer*innen des DNT zusammengefasst:

  • Kundenzentriertheit: Angebote, Tarife und Kommunikation müssen auf die Bedürfnisse der Kunden angepasst werden. Individualisiert, personalisiert, in der offline- wie in der digitalen Ansprache.
  • Einfach muss es sein. Zig Millionen Käufer*innen des 9-Euro-Tickets haben nicht nur wegen des niedrigen Preises gekauft. Sondern weil es einfach im Kauf ist und in der Nutzung funktioniert. Und das Ticket hat den ÖPNV auf die mediale Agenda gesetzt wie kein Thema zuvor.
  • Nähe zum Kunden ist das Erfolgskriterium. Es gilt, personalisierte Infos und eine individuelle Ansprache über alle Touchpoints auszugestalten. Ob in der App, in kreativen Media-Formaten oder im Design. Wer dem Kunden näher ist als der Wettbewerb, gewinnt den Kunden für sein Angebot. Sofern dieses attraktiv genug für den Käufer ist.

Diese zentralen Faktoren haben auch den Absatz des 9-Euro-Tickets gepusht. Für sich allein sind sie bereits stark, doch erst in der Kombination schaffen sie die neue Nähe im Marketing.